Der Blues vor einer Mauer aus Bruchstein

- das neunte Blues- und Rockfestival Altzella 2011 lockte zweitausend Besucher nach Altzella -

Eine Band ist eine Band, ist eine Band, ist eine Band...

Nur um das Eine klar zu stellen: es ist nicht einfach, in einer Band zu spielen. Es ist nicht einfach, eine Band am Leben zu erhalten. Es ist nicht einfach, jeden Tag um die Existenz dieser Band zu kämpfen, gegen das eigene Ego und gegen die Egos seiner Bandkollegen oder Bandkolleginnen.

Es geht recht schnell, eine Band zu gründen: dazu muss man nicht einmal ein Instrument spielen oder singen können. Alles was man braucht sind Träume, viel zu große Pläne, jede Menge ungebändigte Emotionen, die dringend nach einem Ventil suchen und dann noch dieses Gefühl, es eines Tages zu schaffen, es allen zu zeigen und nicht so wie der ganze Rest zu werden. Aus diesen Zutaten entstehen erfreulich viele Bands. Der nächste Schritt ist schon etwas schwieriger: die Band muss irgendwann erklingen. Das schaffen auch noch eine ganze Menge, aber nicht selten scheitern hier bereits die ersten Träume.

Was spielt man in einer Band, die sich gerade gefunden hat? Man covert, das bedeutet, man spielt die Songs anderer Bands nach und fühlt, was diese Bands vermeintlich fühlen, wenn sie die Songs spielen. Es gibt jede Menge solcher „Coverbands", die spielen dutzendweise auf Dorffesten in der ganzen Welt. „Und als nächstes hört ihr... 'Come As You Are´!!" Coverbands können erstaunlich lange existieren, irgendwann gewinnt man sie auch lieb. Das Covern ist in der frühen Bandentwicklung wichtig. Die Mitglieder probieren sich aus, lernen direkt am Material, finden hoffentlich zusammen und wagen im seltenen idealen Fall den nächsten großen Schritt: sie entwickeln einen eigenen Stil und schreiben eigene Songs. Dieser Schritt ist enorm schwierig, ihn wagen nur wenige Bands. Doch der folgende Schritt ist noch viel schwieriger: schafft es diese einfallsreiche, sehr originelle und originale Band, durchzuhalten? Bleibt sie „cool" oder heben die Mitglieder ab? Zerfleischen sich die gigantischen Egos der Mitglieder? Weiß die Band, was und wer sie ist? Kann diese Band auf eigenen Beinen stehen und, zunächst unsicher, später schnell und wild laufen lernen. Wenn nicht, liest sich der Nachruf auf Wikipedia vielleicht so:

„'Echt´ war eine deutsche Popgruppe aus Flensburg, die 1994 gegründet wurde. Mit dem Song Du trägst keine Liebe in dir hatte sie 1999 ihren größten Erfolg, bevor sie sich im Jahre 2002 auflöste."

Wenn aber doch, wenn sie es schafft, all diese Kämpfe und Zerreißproben zu überstehen, sich jeden Tag neu zu definieren und in Frage zu stellen und trotzdem durchzuhalten, dann... dann kann diese Band beinahe nichts aufhalten. Was kostet dann noch die Welt?

Du sollst leben, und wachsen, und richtig groß werden!

Der Mittelsächsische Jugendverein e.V. hilft jungen Bands, zusammenzufinden und zusammenzuwachsen. Viele Bands haben im Laufe der Jahre im Verein das Licht der Welt erblickt, viele davon sind auch wieder zerbrochen und zerfallen. Aber die Hoffnung, da könnte die nächste Band entstehen, die es vielleicht schafft, die besteht immer und der Verein hält diese Hoffnung am Leben. Auf dem Blues- und Rockfestival Altzella, organisiert vom Mittelsächsischen Jugendverein e.V. haben junge Bands jedes Jahr die Möglichkeit, auf der Bühne zu zeigen, was sie können. „Coffeeshop" sind so eine Band, der man glaubt, dass sie es schaffen kann. Die Musiker und Musikerinnen sind voller Leben und sind tatsächlich originell und original. Sie spielen direkt und unprätentiös. Und sie nabeln sich gerade von der Cover-Phase ab, sie beginnen also, eigenes Material zu schreiben und einen eigenen Stil zu entwickeln. Das ist ein bedeutender Schritt, auch wenn das Covern wichtig für junge Bands ist, um zu lernen, wie man gemeinsam spielt. „Coffeeshop" haben den Willen und das Potenzial, zu wachsen und auf eigenen Beinen zu stehen, das spürten die Besucher in Altzella als die Band dort auftrat.

„Die fand ich am besten, vor allem, wenn sie eigenes Zeug gespielt haben." sagte eine junge Besucherin am zweiten Tag des „Blues- und Rockfestivals Altzella" am 3. Juni 2011 in der großen Scheune von Altzella als gerade „Coffeeshop" auf der Bühne spielten. Der zweite Festivaltag ist traditionell den Newcomern gewidmet. Nachdem am ersten Tag, jedes Jahr am Himmelfahrtstag, die Größen im Blues und Rock Altzella die Ehre gaben, zeigten die Neulinge am zweiten Tag, wie weit sie es bereits gebracht haben. In diesem Jahr haben sie sich aber nicht nur auf der Bühne in Altzella abgerackert sondern sich auch auf der siebenten Rockladen-CD verewigt, die der Mittelsächsische Jugendverein produziert und auf dem Festival veröffentlicht hat.

Weitere Bands aus der Region aber auch aus entfernteren Gegenden verblüfften auf dem Blues- und Rockfestival Altzella mit tollen Auftritten und viel Charisma. Kim´s Funky Corporation, Platonic Solids, Erwin Slater oder auch Minirock gehörten zu den neuen Bands, die an diesem Tag zeigten, dass sie zumindest die ersten Schritte auf dem schwierigen Weg zu einer guten Band gegangen sind. Aber auch die jüngste Band am ersten Tag des Festivals, The Wake Woods aus Berlin spielten erstaunlich routiniert. Wie alt sind die? Gerade anfang zwanzig und schon so professionell? Wie kann man so jung so gut und unprätentiös spielen? Keiner der Musiker zeigt hier einen Egotrip, alle ordnen sich der Band unter, jeder spielt seinen Part und das Ergebnis ist hammerharter Bluesrock aus Himmel und Hölle. Das klingt mal wie direkt aus einer fünfziger-Jahre-Jukebox, mal wie direkt aus einem Raumschiff mit WAP-Antrieb. Der Blues lebt und hat würdige Nachfolger gefunden.

Vor einer Mauer aus Bruchstein – der Blues ist hier zuhause

Altzella ist wie geschaffen für ein entspanntes Festival mit vielen Bands, die den Blues und den Rock auf jede denkbare Art und Weise spielen. Am 2. und 3. Juni 2011 fand das neunte Blues- und Rockfestival Altzella statt. Das Festival war in diesem Jahr besonders: an beiden Tagen schien die Sonne und lockte beinahe zweitausend Besucher in die alte Scheune und auf das Klostergelände. Die Scheune war neu für Besucher und für Organisatoren, hat sich aber hervorragend bewährt. Die Hauptbühne in der riesigen Scheune stand vor einer alten Mauer aus Bruchstein und war die perfekte Kulisse für das beeindruckende Line Up. Es spielten unter anderem Kees Schipper, Andre Dusk und nicht zuletzt Mr. Speiches Monokel Blues Band am ersten Abend in der Scheune. Als Monokel altbekannte Hymnen und Klassiker aus der über dreißigjährigen Bandgeschichte zelebrierten, glänzten viele Augen im Publikum.

Auf dem Festivalgelände gab es noch eine zweite Bühne, die „kleine" Bühne. Sie stand unter freiem Himmel, zwischen den vielen Picknickdecken und Liegestühlen der Festivalbesucher. Hier sollte Blues in „kleiner Form" gespielt werden. Aber Achtung! Nachdem das Bleifrei Boogie Duo schon ordentlich loslegte überzeugte spätestens Dr. Slide alle Ohren davon, dass „klein" nicht „ungefährlich" bedeuten muss. Sein Auftritt hatte eine unglaubliche Kraft, er produzierte einen derartigen Sound, der unmöglich nur von einem einzelnen Musiker stammen konnte. Auch bei den letzten Bemühungen, Anstand zu bewahren und sich um eine zivilisierte Sprache zu bemühen fällt einem bei diesen Klängen nur ein Wort ein: „Geil!"

Im Schatten der Galerie im Klosterpark Altzella, gleich neben der verglasten Eingangsfront zum Backstagebereich, scheinbar unbemerkt von emsig herein- und heraus eilenden Musikern, Besuchern oder Helfern sitzt eine blasse Gestalt. Ein eloquenter älterer Herr mit langem Gesicht, Schiebermütze auf dem Kopf und einem eleganten schwarzen Jacket. Lässig lümmelt er auf einem Stuhl und beobachtet die Menschen um sich herum durch seine halbgeschlossenen Augen. Auf die Frage, ob es ihm gut gehe antwortet er in einem beinahe unverständlich genörgeltem britischen Akzent: „Hervorragend! Es könnte nicht besser gehen. Wissen Sie, es gibt nur wenige Momente im Leben, in denen man sich ganz bei sich fühlt und man spürt, dass man willkommen ist." Die Gestalt ist Stan the Man, ein weiterer alter Bluesmann, der am ersten Tag des Festivals in Altzella mit seiner Bohemian Bluesband die Bühne in der Scheune rockt. Er wirkt wie ein alter englischer Lord, aber er spielt wie ein aggressiver Schläger im Vollrausch. Sein Stil ist unglaublich roh und dynamisch und reißt jeden mit. Er hat Rhythmus, er hat Stil und er beherrscht die Bühne von dem Moment in dem er sie betritt. Stan the Man ist mit seinen über siebzig Jahren schon zum dritten Mal beim Blues- und Rockfestival Altzella dabei. Nach seinem überwältigendem Auftritt bedankt er sich, dass er drinnen in der Scheune spielen durfte und nicht draußen in der Sonne stehen musste. Er verweist auf Dr. Slide und sagt: „Wissen Sie, das was Dr. Slide da geliefert hat, könnte ich nicht schaffen. Und dann die Hitze..." Er verabschiedet sich mit einem Lächeln und einem Augenzwinkern und kehrt lachend zu seinem Stuhl im Schatten zurück. Er genießt die entspannte Stimmung und gönnt sich noch ein Murphy´s Stout. Dann wird es Zeit für die nächste Band.

FESTIVAL REVIEW